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Konflikte zwischen Kindergartenkindern begleiten

Konflikte zwischen Kindergartenkindern begleiten

Wie fördern Sie als Leitung einer Kindertagesstätte das "Streiten lernen" unter Kitakindern?

Connection before Correction. Marshall B. Rosenberg

Als Leiter:in einer Kindertageseinrichtung haben Sie neben vielem anderen die Aufgabe dafür zu sorgen, dass Kinder konstruktives Konfliktverhalten erleben. So lernen die Kinder die elementare Fähigkeit, Konflikte selbstständig zu lösen. Diese Fähigkeit bedeutet Entlastung für Sie als Leitung, aber auch für die gesamte Einrichtung.

Alltag Inder Kita: Paul und Marie spielen im Außenbereich der Kita. Paul sitzt mit einer Schaufel im Sandkasten und ist damit beschäftigt, eine Sandburg zu bauen. Nun sehen Sie aus der Ferne, wie Marie dazukommt. Sie hören nicht, was gesagt wird, aber Sie sehen, dass es zu einem Gerangel zwischen den beiden um die Schaufel kommt. Dabei ziehen beide Kinder fest an der Schaufel, Marie stolpert unglücklich und schlägt sich das Kinn auf. Sie fängt laut an zu weinen, woraufhin Paul einen Schreck bekommt und ebenfalls anfängt zu weinen…

Konflikte gehören zum Kita-Alltag ebenso wie das gemeinsame Mittagessen oder die Vorlesezeit. Sie erfüllen eine wichtige Funktion, um soziales Verhalten zu erlernen. 

Nur im Konflikt lernen Kinder etwas über ihre eigenen Bedürfnisse und die ihres Gegenübers. 

Dennoch werden immer wiederkehrende und ungelöste Konflikte von allen Beteiligten als belastend empfunden. Entscheidend ist daher nicht die Frage, wie sich Konflikte in der Kita vermeiden lassen. Interessant ist vielmehr, ob es in der Einrichtung gelingt, Konflikte unter Kindern konstruktiv zu klären. Interessant für alle Beteiligten in Kitas sind daher folgenden Fragen:

  • Wie und warum entstehen Konflikte?
  • Was sind die Gründe für eine Eskalation und wie gelingt die Deeskalation?
  • Wie können pädagogische Fachkräfte den Konflikt gemeinsam mit den Kindern konstruktiv bearbeiten?
  • Wie können Sie als Einrichtungsleitung dem Team den Weg zu einem konstruktiven Konfliktumgang ebnen?

Konflikte entstehen immer dann, wenn Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben (dies ist im Alltag häufig der Fall und nicht weiter ungewöhnlich) und wenn es den Konfliktbeteiligten nicht gelingt, über diese unterschiedlichen Bedürfnisse konstruktiv zu verhandeln[1]. Was heißt das in Bezug auf Paul und Marie? Paul und Marie möchten unterschiedliche Dinge, sie haben unterschiedliche Bedürfnisse. Es gelingt ihnen aufgrund ihres Alters und ihrer begrenzten Lebenserfahrung jedoch nicht, darüber zu „verhandeln” und alternative Strategien zu finden, die für beide passen. Stattdessen wählen sie die für sie erfolgversprechendste Strategie (Schaufel wegnehmen) und es kommt zum Streit. Nun sind die pädagogischen Fachkräfte gefragt, gemeinsam mit den Kindern einen guten Umgang mit dem Konflikt zu finden. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei denkbare Varianten: es könnte im weiteren Verlauf nun entweder zu einer Eskalation oder zu einer Deeskalation kommen.

Anhand der Ergebnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung ist bekannt, dass der wesentliche Unterschied für einen eskalierenden oder deeskalierenden Konfliktverlauf darin besteht, ob der begleitenden Person eine zugewandte Haltung zu den Konfliktbeteiligten gelingt. Diese Haltung spiegelt sich, neben anderen Ansätzen, in der Aussage von Marshall B. Rosenberg wider, dem Begründer der Gewaltfreien Kommunikation:

Connection before Correction. Der Satz besagt, dass nicht eine Technik oder Methode, sondern in allererster Linie unsere zugewandte Haltung eine positive Auswirkung auf den Konflikt hat. 

Gelingt es uns, für die Konfliktklärung einen ruhigen und geschützten Raum zu schaffen und den Kindern zuzuhören, sie also zunächst verstehen zu wollen, dann steigen die Chancen, dass diese Kinder sich beruhigen, sich verstanden fühlen und in einem zweiten Schritt bereit sind, ihr Verhalten zu verändern. Connection before Correction bedeutet, dass alle Menschen und besonders Kinder in für sie stressigen Situationen zunächst Verständnis und einen guten Kontakt zum Gegenüber brauchen (Connection), bevor sie bereit sind, Lösungen, Ratschläge oder Verhaltenskorrekturen (Correction) anzunehmen.

Was im Alltag jedoch häufig geschieht, ist, dass Erwachsene schnell mit Regeln, Ratschlägen oder Lösungen zur Hand sind. 

Als erste Reaktion auf ein Gerangel um die Schaufel zwischen Paul und Marie fallen dann Sätze wie: „Marie, das ist nicht in Ordnung, Paul die Schaufel wegzunehmen” oder „Paul, lass doch Marie mitspielen” oder „Marie, nimm doch die andere Schaufel, die daneben liegt”. Bei näherer Betrachtung sind jedoch kaum Situationen bekannt, in denen Paul oder Marie auf derartige Sätze jemals kooperativ geschweige denn konstruktiv reagiert hätten. Oft reagieren Kinder auf derartige „Lösungen” zwar mit Gehorsam, erlernen jedoch nicht, Konflikte selbständig zu lösen. Oder sie zeigen auf das Gesagte deutlichen Widerstand. Woraufhin sie in der Regel ein weiteres Mal zurechtgewiesen werden…. Alltäglich ist also eher das Prinzip Correction before Connection.

Was sind demnach Gründe für eine Eskalation?

  • Die Situation wird nicht ernst genommen und ihr wird kein Raum eingeräumt
  • Der Streit wird nicht bearbeitet, sondern negiert („da war gar nichts zwischen den beiden”), bagatellisiert („das war halb so wild”) oder ignoriert (Wegschauen und die Kinder im Konflikt sich selbst überlassen)
  • Die beteiligten Erwachsenen haben nicht sofort eine Lösung zur Hand und das löst bei ihnen unangenehme Gefühle aus (Überforderung etc.)
  • Sie geben eine Regel oder eine Lösung vor. Die Kinder sind jedoch nicht offen, diese anzunehmen, da sie in ihren Gefühlen und Bedürfnissen noch nicht gehört und gesehen wurden

Wie gelingt nun der Weg der Deeskalation?

  • Konflikte werden in der Kita als „normal“ betrachtet
  • Konflikten wird im wahrsten Sinne des Wortes Raum gegeben und sie werden an einem ruhigen Ort aktiv und gelassen angesprochen
  • Sie erforschen als Leitung gemeinsam mit Fachkräften und Kindern, neugierig wie Detektive, die Konfliktursachen
  • Sie führen mit einer allparteilichen Haltung und einer klaren Struktur (Vier Schritte) durch das Gespräch und ermöglichen damit gegenseitiges Verständnis unter den Kindern
  • Die Kinder werden zuerst in ihren Gefühlen und Bedürfnissen gehört und gesehen, anschließend suchen sie selbst und ggf. mit Ihrer Hilfe als Leitung eine Lösung, die für beide in Ordnung ist

Was sind nun, neben einer wertschätzenden Haltung, weitere Gelingensbedingungen für eine Begleitung von Kindern im Konflikt und wie können Teams diese Bedingungen entwickeln?

Für das Setting der Kindertageseinrichtungen wurde der Fokus auf drei Aspekte gelegt: auf der Beziehungsebene zwischen pädagogischer Fachkraft und Kindern sind dies die Ansätze der Allparteilichkeit und der Eigenverantwortung aus der Mediation. Der dritte Aspekt besteht im strukturellen Rahmen zur Unterstützung einer verbindenden Kommunikation: die „Vier Schritte” der Gewaltfreien Kommunikation.

Das Prinzip der Allparteilichkeit und der Eigenverantwortung

Allparteilichkeit in der Begleitung von Konflikten bedeutet, dass sich die pädagogischen Fachkräfte nicht mit der Frage beschäftigen, wer von beiden Kindern angefangen hat oder wer die Schuld am Konflikt trägt. Diese Fragen führen im Ergebnis lediglich zu weiteren Folgekonflikten. Es bedeutet auch nicht, dass sie neutral gegenüber den Kindern sind. Dies würde bedeuten, sich gar nicht in den Konflikt einzumischen. Vielmehr geht es bei der Allparteilichkeit darum, dass sie beide Kinder gleichermaßen darin unterstützen, den Konflikt zu klären. Dieses Rollenverständnis beinhaltet, dass die Fachkräfte dafür zuständig sind, durch den Gesprächsprozess zu führen, sich jedoch inhaltlich auf keine der beiden Seiten zu stellen, sondern beiden Kindern zugewandt zu bleiben.

Sie verzichten auf Schuldzuweisungen, Ratschläge, Regeln oder Lösungen, sondern helfen beiden Kindern, ihren Streit zu verstehen und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Dies wiederum fördert das Prinzip der Eigenverantwortung. In der Mediation liegt die Annahme zugrunde, dass jeder Mensch die Lösung für seinen Konflikt bereits kennt, bisweilen jedoch Unterstützung bei der Lösungssuche benötigt.

Dies gilt eben auch für Kindergartenkinder, die zahlreiche Ideen zur Lösung ihrer Konflikte haben, jedoch Unterstützung bei der Struktur und der Gesprächsführung, also einen sicheren Rahmen benötigen.

Eigenverantwortung der Kinder bedeutet, dass die Fachkräfte die Kinder in den Prozess einbeziehen. Sie erforschen gemeinsam mit ihnen wie Detektive, warum es zum Konflikt kam und was für Ideen sie zur Lösung haben. Kinder, die in der Kita erleben, dass sie selbst einen Konflikt klären können, erfahren Selbstwirksamkeit. Sie wachsen über sich hinaus und entwickeln neben einem gesunden Selbstbewusstsein ein Gespür dafür, wie sie ihr soziales Miteinander gestalten können. Dies unterscheidet sie von Kindern, die häufig korrigiert oder unter Druck gesetzt werden, sich bei ihrem Gegenüber zu entschuldigen. Bei ihnen bleibt auf der unbewussten emotionalen Ebene häufig das Gefühl zurück, falsch, ungenügend oder „schuld” zu sein.

Die Vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation

Für das Führen durch das Konfliktgespräch haben sich die Vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation als besonders hilfreich erwiesen. Sie unterstützen Sie dabei, in einer verbindenden statt in einer trennenden Weise mit den Kindern zu kommunizieren. Darüber hinaus bedeuten die Vier Schritte eine wichtige Struktur und Orientierung, sowohl für die Kinder als auch für die Rolle des Mediators. Zur Verdeutlichung von verbindender und trennender Kommunikation sind die Vier Schritte im Folgenden mit ihrer jeweiligen trennenden Entsprechung aufgeführt.

  1. Schritt: Beobachtung (statt Bewertung)
  2. Schritt: Gefühl (statt Gedanke)
  3. Schritt: Bedürfnis (statt Strategie)
  4. Schritt: Bitte (statt Forderung)

Mithilfe dieser vier Schritte gehen Sie nun gemeinsam mit den Kindern – erst mit dem einen, dann mit dem anderen Kind- den Konflikt durch.

Zur Unterstützung des Prozesses bieten sich die Symbolkarten aus dem Giraffentraum®[2] von Frank und Gundi Gaschler oder auch der von Tassilo Peters entwickelte Friedensstock an[3].

Beispielsweise könnte ein Teil des Dialogs mit den Kindern so verlaufen:

1. Beobachtung: „Marie, erzähl doch bitte, was passiert ist?“

2.: Gefühl: „Aha, und wie hast Du Dich da gefühlt?“ „…“ „Du wolltest gerne mitspielen und dann hast du gemerkt, dass Paul alleine spielen wollte und da bist du wütend geworden?”

3. Bedürfnis: „Wie hätte es sich denn angefühlt, wenn es gut gewesen wäre?“

4. Bitte: „Das heißt, Du würdest Dir wünschen, dass Paul Dich häufiger fragt, ob Du mitspielen magst?“

In unserem Beispiel hatte Marie ein Bedürfnis nach Kontakt hatte und wollte mitspielen, für Paul dagegen war es am schlimmsten, dass sein Bedürfnis nach Autonomie unerfüllt war.

In der Praxis zeigt sich, dass der vierte Schritt bei Kindergartenkindern häufig nicht notwendig ist. Oftmals empfinden Kinder den Streit als geklärt, sobald sich beide vollständig verstanden fühlen und gehört wurden. Dies ändert sich mit zunehmendem Alter der Kinder. Ältere Kinder benötigen für die Lösungen mehr Zeit und wollen diese differenzierter verhandeln.

Im Fall von Paul und Marie stellt eine der Grundannahmen der Gewaltfreien Kommunikation den Schlüssel zum Verständnis von Konflikten dar: 

„Was auch immer wir tun, es ist das Schönste und Beste was uns im Moment zur Verfügung steht, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen (M. B. Rosenberg)".

In einer allparteilichen und zugewandten Haltung gehen wir davon aus, dass Kinder sich mit allem, was sie tun, ihre Bedürfnisse erfüllen möchten. Hierfür wählen sie jedoch häufig Strategien, die, wenngleich sehr effizient, sozial nicht gut funktionieren. Dies lässt sich im Konfliktgespräch verändern. Die Chancen in diesem Konflikt sind also vielfältig für alle Beteiligten. Marie kann ausprobieren, mit einer neuen Strategie für ihre Bedürfnisse einzutreten und gemeinsam mit Paul austesten, ob das Spielen besser funktioniert, wenn sie Paul vorher nach der Schaufel fragt. Paul kann ebenfalls lernen, für sein Bedürfnis nach Autonomie einzustehen. “Ich möchte, dass du mich fragst”. Beide Kinder lernen, sich aktiv zuzuhören und zu erkennen, worum es dem Anderen geht, also Empathie für ihr Gegenüber zu entwickeln.

Das gesamte Team erfährt Entlastung, wenn Kinder und Erwachsene im Laufe der Zeit immer selbständiger in der Lage sind, die „Vier Schritte“ ohne Hilfe durchzugehen und selbständig Lösungen zu finden.

Zu Beginn wird den pädagogischen Fachkräften in der Einrichtung der Ablauf vielleicht recht ausführlich erscheinen, nach einiger Übung verselbständigt sich der Prozess jedoch schnell und geht in „Fleisch und Blut“ über. Nicht oft genug kann betont werden, dass die Zeit, die in die Konfliktklärung investiert wird, sich in mehrfacher Hinsicht auszahlt. Je mehr Übung alle Beteiligten in der Konfliktklärung haben, desto leichter wird der Alltag in der Einrichtung.

Als Einstieg in das Thema Konfliktklärung und Gewaltfreie Kommunikation empfiehlt es sich, einen oder mehrere pädagogische Fortbildungstage auf das Thema "Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation in Kindertagesstätten" zu verwenden. (Für ein kostenfreies Vorgespräch bitte Kontakt mit Imke Trainer aufnehmen) 

Fazit: Konflikte sind soziale Lernfelder. 

Nur von zugewandten Erwachsenen lernen Kinder, im Konflikt wertschätzend miteinander umzugehen. Damit pädagogische Fachkräfte die Konflikte von Kindern ressourcenorientiert betrachten, kann es hilfreich sein, das eigene Konfliktverhalten in Fortbildungen und Seminaren gesondert zu reflektieren und zu verändern. Oft ist das der Beginn einer wundervollen Lernpartnerschaft zwischen Erwachsenen und Kindern.

Dieser Artikel erschien in der KiTa aktuell spezial, Themenheft Konfliktmanagement, Juni 2020, und richtet sich vorrangig an Leitungen von Kindertagesstätten


[1] Vergl. Harald Pühl: Das konstruktive Gespräch.

[2] https://giraffentraum.de/wp/giraffentraum/

[3] https://tassilopeters.com/friedensstock/

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