Artikel veröffentlicht in der Spektrum der Mediation, Ausgabe Nr. 84, 2. Quartal 2021
Würdest du dieser Aussage zustimmen?
Das ist für uns Mediatoren wirklich eine Hürde, stimmt's: Uns als Mediator:innen mit unserer Persönlichkeit zu zeigen, das fällt uns in der Selbstdarstellung häufig schwer. Lies hier, warum es wichtig ist, dass wir Mediator:innen uns beim Thema Selbstmarketing aus der Grauzone herausbewegen und endlich mehr Farbe bekennen – nämlich zu uns selbst.
Denn wer wir sind und wofür wir stehen - auf dieser Grundlage entscheiden sich Mediand:innen dafür (oder dagegen), uns zu beauftragen.
Unter uns Mediator*innen ist die Neutralität ein hohes Gut. Gründlich haben wir in unseren Mediationsausbildungen gelernt, dass wir nicht nur neutral, sondern sogar allparteilich sind. Denn am Ende wollen wir doch beide Seiten der Medaille sehen und helfen, den Konflikt zu klären, statt uns selbst mit unserer Meinung in den Vordergrund zu stellen.
Und dazu braucht es eben diese professionelle Zurückhaltung!
Oder etwa nicht?
Die meisten von uns haben ein komisches Gefühl dabei, sich als Mediator:in vermarkten zu müssen. Haben wir uns nicht unter anderem für Mediation entschieden, weil wir die Art, wie Menschen miteinander reden, ändern wollen? Ehrlich und relevant anstatt manipulativ und bestenfalls halbwahr, wie in der Werbung? Wollen wir nicht zugewandt zuhören statt ichbezogen drauflos zu plappern?
Als Mediator:innen sind wir es gewohnt, nicht über uns zu sprechen. Doch genau diese Überzeugung kann uns beim Thema “Marketing” im Wege stehen. Diese Form der geringen eigenen Sichtbarkeit, die uns in unserer Arbeit oft zugute kommen, bietet wie alle Konzepte nicht nur Ressourcen, sondern birgt auch Risiken.
Hier plädiere ich dafür, dass wir die Zurückhaltung als Person, die wir für die Mediation als wertvoll erachten, nicht auf unser Marketing als Mediator:innen übertragen.
In unserer Selbstdarstellung sollten wir, im Gegenteil, als Menschen lebendig werden und mehr Farbe bekennen. Nicht nur von unseren Stärken berichten, sondern auch etwas über unsere Lernfelder, um nicht zu sagen 'Schwächen' erzählen. Dazu beitragen, dass die Welt sichtbar bunt und vielfältig ist, auch unter uns Mediator*innen. Sei es, dass wir offen damit umgehen, Teil einer Regenbogenfamilie zu sein oder dass wir uns aufgrund (negativer) Erfahrungen in unserer eigenen Biografie auf das Thema “Narzissmus und Mediation” spezialisiert haben. All diese Bekenntnisse und Farbschattierungen sind wichtig, damit unsere Mediand*innen unsere Leidenschaft und Verbundenheit mit ihnen als Menschen spüren – statt lediglich als Unbeteiligte unserer eigenen Begeisterung für das Produkt “Mediation” beizuwohnen.
Und damit sind wir beim ersten Missverständnis im Marketing für Mediator:innen angekommen, das die US-amerikanische Marketingexpertin Marie Forleo in ihren Worten so zusammenfasst:
Anders gesagt: Wenn wir Farbe bekennen für echte Menschen und ihre Probleme im Konflikt, werden wir ein überzeugendes Beziehungsangebot machen.
Wenn wir hingegen für das abstrakte Konzept ‘Mediation’ werben, ist das für unsere potentiellen Konfliktparteien gefühlt erst einmal nicht relevant. Weil es nichts mit Ihnen persönlich und ihrem Leben zu tun hat. Das merken wir an der typischen Antwort: 'Mediation? Ja, ja, interessante Sache, diese Mediation. Ich glaube aber, für dieses Problem/meinen verstockten Streitpartner/meine Familie… ist das irgendwie nicht das Richtige.’
Falls Ihnen diese Antwort bekannt vorkommt, könnte es vielleicht sein, dass Ihre Begeisterung für die Mediation gleichzeitig eine Kluft zwischen Ihnen und den Menschen aufmacht, denen Sie gerne helfen würden.
Andersherum können wir auch unleidenschaftlich und sachlich über Mediation sprechen und auf dieselbe Hürde stoßen.
Dazu möchte ich Tilman Metzger zitieren, der mir mit seinem Beitrag “Mediation als Beruf” in der Spektrum der Mediation Nr. 79, 2020, in dieser Hinsicht aus der Seele gesprochen hat.
Zitat: “Einige Angebote im Netz werben an erster Stelle damit, Mediation sei ein strukturiertes und freiwilliges Verfahren, durch das Parteien eigenverantwortlich interessengerechte Lösungen entwickelten. Das ist ungefähr so, als ob ein Winzer schreiben würde, sein Wein sei aus Trauben gekeltert, habe eine rote Farbe und enthalte Alkohol. Es bleibt den Interessent*innen verborgen, warum sie sich ausgerechnet für jene Mediatorin oder diesen Wein entscheiden sollten. Im Netz muss den Kund*innen aber auf den ersten Klick klar sein, was die Besonderheit genau dieses Angebots ist, sonst wird die Seite schnell verlassen.”
Unsere Herausforderung beim Marketing als Mediator*innen besteht demnach aus einer Verquickung von zwei sich widersprechenden Umständen: Dass wir einerseits verliebt sind in das Konzept der Mediation und andererseits so neutral, also so sachlich und farblos darüber sprechen, wie wir das von uns als Mediator:innen erwarten würden.
Auf dem eigenen Internetauftritt Farbe zu bekennen, ist in dieser Hinsicht also eine besondere Chance, eine Beziehung zu potenziellen Medianden aufzubauen. Ein Klicken zu erzeugen zwischen dir und genau den Medianden, die mit dir und mit niemand anderem arbeiten möchten. In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein weiteres Missverständnis anführen, das es in der Kommunikation mit Medianden von morgen zu berücksichtigen gilt.
Häufig lautet dies in den Worten von uns Mediator:innen:
“Die Medianden müssen erkennen, dass sie eine Mediation brauchen und dann den ersten Schritt machen und uns anrufen”.
Die gute Absicht, die hinter dieser Aussage steht, ist sicherlich, die Werte der Freiwilligkeit und der Eigenverantwortung zu stärken.
Diese möchte ich ausdrücklich würdigen und für die Mediation bewahren.
Und gleichzeitig darf ich mir als Mediator:in bei jeder Kundenkommunikation, egal ob Webseite, kostenloses Telefonat oder Flyer, immer wieder vor Augen führen, dass wir als Mediator*innen bereits wissen, welche Wunder die Mediation bewirken kann.
Wir haben Vertrauen in die Mediation. Wir haben in unserer Ausbildung oder durch unsere Erfahrung als Teilnehmer:in an einer Mediation am eigenen Leib eine positive Erfahrung gemacht und wir erinnern uns, wie gut sich das angefühlt hat, verstanden zu werden und gemeinsam eine Lösung zu finden.
Unsere Mediand*innen wissen das jedoch noch nicht. Sie stecken im Konflikt und in ihren negativen Gefühlen fest – und sie möchten mit diesen Gefühlen dringend gehört und gesehen werden.
Wie können wir da erwarten, dass sie aufgrund eines Auszugs aus einem neutral gehaltenen Text im Stil eines Wikipedia-Artikels Feuer fangen?
Uns Vertrauen schenken und ihre kostbare Beziehung in unsere Hände legen, wenn wir mit Leidenschaft über ein Verfahren statt über ihre Situation sprechen?
Womit wir bei der zweiten Erkenntnis angelangt sind, die sich im Laufe der Zeit eingestellt hat:
Das Zustandekommen einer Mediation setzt voraus, dass Mediator*in und Mediand*in eine vertrauensvolle Beziehung zueinander aufbauen. Dieser Beziehungsaufbau wird jedoch durch die Tatsache erschwert, dass unsere Mediand*innen sich in einer Ausnahmesituation befinden. Sie sind im Konflikt und stehen unter Stress. Deshalb können wir nicht einzig und allein darauf hoffen, dass sie ganz reflektiert und im Vollbesitz ihrer geistigen Ressourcen den ersten Schritt gehen und uns anrufen.
Es empfiehlt sich vielmehr, dass wir die Frage umdrehen und uns überlegen:
Vertrauen bedeutet den ersten Schritt zu tun auch wenn du die Treppe noch nicht ganz sehen kannst. Martin Luther King
Die gute Nachricht:
Wir können es unseren potenziellen Mediand*innen leicht machen, diese Treppe zu erahnen, indem wir ihnen das Gefühl geben, dass wir da sind, bevor sie stolpern.
Und zwar indem wir uns so darstellen, wie wir auch in der Mediation sind.
Ehrlich, menschlich und kompetent.
Und das bedeutet in der Konsequenz: Im Marketing sind wir Mediator*innen diejenigen, die den ersten Schritt gehen.
Marketing für Mediator:innen bedeutet ganz konkret:
Je sensibler unsere Dienstleistung ist, desto mehr sollten wir in den Vertrauensaufbau investieren.
Diese Tatsache ist mir klar geworden, als ich im vergangenen Jahr selbst Teil einer Marketing Mastermind-Gruppe war und festgestellt habe, dass die Kolleg*innen mit den sensibelsten Beratungsleistungen (Sexualberatung) diejenigen waren, die sich am weitesten aus dem Fenster gelehnt haben (eigener Youtube-Kanal). Auf Mediation übertragen hat das 'Sich-Zeigen' für unsere Mediand*innen den großen Nutzen, dass es unsere Welt, unser Selbstverständnis und unsere Art zu arbeiten für sie lebendig macht.
Es kann bedeuten, von eigenen Mediationserfahrungen zu sprechen und wie es sich angefühlt hat, selbst Mediand*in zu sein. Auch Humor ist nicht verboten. Am Ende geht es darum, uns in den Farben zu zeigen, die unsere Persönlichkeit ausmachen.
Und hier ein letztes Missverständnis im Marketing für Mediator*innen: Persönlich heißt nicht privat. Farbe zu bekennen bedeutet nicht, Privates zu teilen. Es reicht vollkommen aus, persönlich zu werden. Was macht dich als Person (nicht als Privatmensch) aus? Es geht um das Gesamtwerk aus Mensch und Mediator*in, das wir sind. Nur so wissen künftige Mediand*innen, wem sie sich mit ihrem Konflikt anvertrauen.
Zugegeben, in Zeiten von pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen kann dies zur echten Hürde werden. Doch womöglich tun sich genau dort ganz neue Bereiche auf, um Farbe zu bekennen. Auch über Audio- und Videoaufnahmen auf Webseiten und in Podcasts können sich potentielle Medianden ein Bild von dir machen.
(Fast) live und in Farbe.
Und über dieses “Farbe bekennen” finden die Medianden dann zu uns. Dadurch, dass Sie uns schon vor der Mediation erleben, durch das Hören und Fühlen auf Probe.
Und ganz ehrlich: Kennen wir das nicht auch von uns selbst?
Möchten wir an der Käsetheke nicht auch lieber erstmal in Ruhe den lange gereiften Comté probieren und diesen mit dem Geschmack des ähnlich aussehenden Gruyère vergleichen statt gleich ins kalte Wasser zu springen und ohne Erstkontakt und ohne Fühlen und Schmecken ein unleidenschaftlich angepriesenes und zudem hochpreisiges Produkt namens “Rohmilcherzeugnis” zu kaufen?
Dann hinterlass uns doch gerne mal einen Kommentar...
Ich bin gespannt.
Herzlich, Imke
RheinMediation - Kultur der Verständigung
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